Bereits in der Morgendämmerung ist unser Pisten- und Rettungsdienst-Team mitten im Geschehen. Ihre Mission: für Sicherheit auf den Pisten sorgen, bevor die ersten Skier den Schnee berühren. Mit 27 Patrouilleuren sind sie auf Corviglia im Einsatz und sorgen tagtäglich dafür, dass Wintersporttreibende unbeschwert ihrer Leidenschaft nachgehen können – und wenn doch etwas passiert, sind sie blitzschnell zur Stelle. Ihre Aufgaben reichen von der ersten Hilfe bei Unfällen und dem Transport von verletzten Personen ins Tal über die Pistenkontrolle und Pistenmarkierung bis zu Lawinensprengungen und -rettungen.
Im Interview mit Linard Godly, Leiter Rettungsdienst
«Die Sicherheit unserer Gäste und Mitarbeitenden steht immer an oberster Stelle.»
Täglich stellt das Rettungs- und Pistendienst-Team sicher, dass Wintersportler ihre Leidenschaft sorgenfrei geniessen können – und wenn doch etwas passiert, sind sie im Handumdrehen vor Ort. Sie sind sozusagen die Helden der Berge. Linard Godly kennt diesen Job in- und auswendig: Denn seit über 15 Jahren leitet er das SOS-Team Corviglia mit seinen 27 Patrouilleuren. Im Interview erzählt uns Linard, wie sie für die Sicherheit auf den Pisten sorgen und was passiert, wenn ein Notruf eingeht.
Linard, eure Arbeit startet im Morgengrauen – noch bevor die ersten Sonnenstrahlen über die Berggipfel blitzen. Was sind eure Aufgaben im Rettungs- und Pistendienst, bevor das Skigebiet Corviglia öffnet? Wir sind immer die Ersten, die im Skigebiet unterwegs sind. An einem normalen Tag, wenn das Wetter schön ist, fahren wir früh nach oben und besprechen im Team, was für den Tag ansteht. Gibt es zum Beispiel einen besonderen Event oder ein Skirennen? Nach der Morgenbesprechung weiss jeder Patrouilleur anhand des Dienstplans, welche Aufgaben er hat und welchen Gebietsabschnitt er betreuen muss. Der Dienstplan legt zudem klar fest, wer für welche Bereiche zuständig ist – ob es um die Absicherung mit Seitenmarkierungen, Signalisationen, Absperrungen oder das Schliessen bestimmter Pisten geht. Danach geht jeder an seinen Posten und beginnt seine Patrouille. Zu meinen Aufgaben gehört auch viel Administratives: Jeden Tag schaue ich das Lawinenbulletin an und schicke unsere Wetterdaten ans SLF (Schweizerisches Lawinenforschungsinstitut), damit sie ihre Lawinenprognosen erstellen können. Dazu kommen tagesaktuelle Dinge, die am Berg anstehen. Im Anschluss gehe ich in der Regel auf die Piste, um zu überprüfen, ob unser Pistenperimeter in Ordnung ist und ob alles, was ich am Morgen angeordnet habe, umgesetzt wurde.
Im Skigebiet Corviglia sind wir auf bis zu über 3000 Metern unterwegs – das Wetter kann sich rasch ändern. Wie gestaltet sich eure Arbeit bei einer Schlechtwetterprognose, etwa bei Schneefall oder starkem Wind? Bei schlechtem Wetter sieht unser Tagesablauf anders aus. Dann müssen wir morgens zuerst entscheiden, welche Pisten wir öffnen können und welche aufgrund der Wetterbedingungen vielleicht besser geschlossen bleiben. Manchmal sind auch Lawinensprengungen nötig. Dabei entscheiden wir, ob punktuelle, kleine Sprengungen ausreichen oder ob wir grössere Massnahmen mit dem Helikopter oder Sprengmasten durchführen müssen. Diese Beurteilungen treffe ich zusammen mit meinen Stellvertretern oder Teamleitern. Eine weitere wichtige Aufgabe ist es, das Wetter den ganzen Tag im Auge zu behalten. Schlechtes Wetter kann sich im Laufe des Tages verändern – es kann stärker schneien, der Wind zunehmen oder die Lawinengefahr steigen. Wir müssen ständig die Lage neu bewerten. Die Sicherheit unserer Gäste und Mitarbeitenden steht immer an oberster Stelle.
Was sind die Kernaufgaben des Rettungs- und Pistendienstes? Alles, was sich oberhalb des Schnees abspielt, ist unser Zuständigkeitsbereich. Unser Kernaufgabengebiet umfasst drei Hauptbereiche: Erstens die Pistenkontrolle und die Pistenmarkierung, also sowohl das Aufstellen als auch die Wartung von Signalisationen, Markierungen und Absperrungen im Skigebiet. Zweitens die Sicherung im Skigebiet, insbesondere die Lawinensicherung inklusive Lawinensprengung, sowie der Schutz vor Naturgefahren. Und drittens die erste Hilfe bei Unfällen mit der Bergung von verunfallten Schneesportlerinnen und -sportlern samt Transport ins Tal.
Was passiert, wenn ein Notruf in der SOS-Zentrale auf Corviglia oder Marguns eingeht? Die Zentrale ist von morgens bis abends besetzt, solange bis der letzte Patrouilleur nach der abschliessenden Pistenkontrolle im Tal angekommen ist. Die Hauptaufgabe der Person in der Zentrale besteht darin, den genauen Unfallort im Skigebiet zu ermitteln. Manchmal ist das einfach, wenn sich die verunfallte Person gut auskennt und klar sagen kann, wo sie sich befindet – etwa auf der Piste Champion, nach der Kuppe im Steilhang, circa in der Mitte. Das erleichtert uns die Arbeit erheblich. Oft ist es jedoch komplizierter, besonders bei internationalen Gästen, die zum ersten Mal im Gebiet sind und eine andere Sprache sprechen. Durch gezielte Fragen schaffen wir es auch in solchen Situationen, den Unfallort zu ermitteln. Sobald der genaue Ort bekannt ist, wird der nächstgelegene Patrouilleur dorthin geschickt – ausgestattet mit einem Rucksack und einem Schlitten. Am Unfallort angekommen, meldet der Patrouilleur dies der Zentrale und beurteilt zunächst die Situation: Kann er die Person allein mit dem Schlitten bergen? Braucht er zusätzliche Hilfe? Oder handelt es sich um einen schwereren Unfall, wie eine Kollision, die noch mehr Unterstützung erfordert? Anschliessend untersucht er die Patientin oderden Patienten, um herauszufinden, welche Verletzungen vorliegen. Wenn der Patrouilleur entscheidet, dass er die Person mit dem Schlitten transportieren kann, bereitet er sie vor, lädt sie in den Schlitten und informiert die Zentrale. Diese benachrichtigt dann die benötigten Blaulichtorganisationen. Ein Beispiel: Der Patrouilleur meldet der Zentrale, dass er mit einem 35-jährigen Mann mit einer Handgelenksfraktur auf dem Weg zur Bergstation Marguns ist. Dort wird die SOS-Gondel für den Transport ins Tal und eine Ambulanz für die Fahrt ins Spital Oberengadin oder die Klinik Gut bereitgestellt.
Mit dem Rettungsschlitten fährt der Patrouilleur jeweils bis zur nächstgelegenen Bergstation. Wie organisiert ihr den Transport des Patienten mit der Bergbahn ins Tal? Besonders schonend transportieren wir Betroffene mit unserer speziellen SOS-Gondel an der Bergstation Marguns, in die der Rettungsschlitten mitsamt dem Patienten geschoben werden kann. Auf Corviglia nutzen wir für den Transport ins Tal die Standseilbahn. Es gibt verschiedene Treffpunkte, an denen wir die Patientinnen und Patienten an die Ambulanz übergeben. Unser Ziel ist es stets, den Transport so sanft und angenehm wie möglich zu gestalten.
Wann braucht es einen Rettungshelikopter? Bei schweren Unfällen, etwa bei Kollisionen mit mehreren Beteiligten, kann von der Zentrale auch ein Helikopter angefordert werden. Sobald ein Heli gerufen wird, braucht es mehr Patrouilleure, um den Landeplatz abzusichern, den Helikopter einzuweisen, Patientendaten zu erfassen, Zeuginnen und Zeugen zu befragen und Fotos zu machen. Solche Kollisionen müssen detailliert dokumentiert werden, damit alle Informationen später der Polizei übergeben werden können. Der erste Patrouilleur am Unfallort ist für die Dokumentation und den Unfallbericht verantwortlich. Sobald die betroffene Person abtransportiert wurde, kehrt der Patrouilleur zur Station zurück und erstellt ein ausführliches Unfallprotokoll. Dieses enthält alle relevanten Informationen wie Patientendaten, den Hergang des Unfalls, Wetterbedingungen, Zeugenaussagen, Skizzen und Fotos. Die Zentrale überprüft den Bericht auf Vollständigkeit und speichert ihn im System. Dies ist besonders wichtig für Versicherungsfragen und mögliche Gerichtsverfahren, bei denen es entscheidend ist, dass alle Informationen sauber dokumentiert sind und auch Jahre später noch abgerufen werden können.
Du bist seit 20 Jahren im Rettungs- und Pistendienst tätig. In dieser Zeit hat sich sowohl die Skiausrüstung als auch die Pistenpräparation stark weiterentwickelt. Welche Auswirkungen haben diese Fortschritte auf deine Arbeit? Die Skiausrüstung und die Beschaffenheit der Pisten haben sich in den letzten 20 Jahren stark verändert, was auch zu einem Wandel in den Unfallmustern geführt hat. Klassische Verletzungen wie der Schienbeinbruch sind heute seltener. Das liegt daran, dass wir heutzutage viel besseres Material an den Füssen haben und die Pisten anders präpariert sind – vor 20 Jahren, als es diese modernen Pistenfahrzeuge noch nicht gab, waren die Pisten oft buckelig, was zu ganz anderen Unfallmustern als bei den heute perfekt präparierten und flacheren Pisten geführt hat. Besonders mit den stark taillierten Carving-Skiern wirken neue Kräfte auf den Körper, was dazu führt, dass Knieverletzungen zugenommen haben. Durch die verbesserten Ausrüstungen fahren die Leute schneller Ski, und wenn es zu einem Unfall kommt, ist der Aufprall oft heftiger als früher. Die Art der Unfälle hat sich also definitiv verändert.
Jeder Patrouilleur muss mindestens alle vier Jahre eine zweitägige, kantonale Weiterbildung absolvieren, bei der du auch als Klassenlehrer tätig bist. Was ist dir bei der Aus- und Weiterbildung von Patrouilleuren wichtig? Mein Anspruch ist es, dass unsere Patrouilleure noch besser ausgebildet sind, als es die Standards verlangen. Wir bieten viele interne Fortbildungen an, oft in Zusammenarbeit mit dem Spital Oberengadin oder der Klinik Gut. Dort können wir unsere Patrouilleure medizinisch noch spezifischer schulen. Dabei besprechen wir auch vergangene Fälle, reflektieren unser Vorgehen und überlegen, was man verbessern könnte. Zudem führen wir regelmässig Reanimationsübungen durch. Jedes Jahr haben wir einen Fortbildungsabend im Spital Samedan, bei dem Orthopäden und andere Ärzte Vorträge halten. Letztes Jahr konnten wir sogar live eine Operation einer Handgelenksfraktur mitverfolgen, was unseren Patrouilleuren ein tieferes Verständnis für Verletzungen vermittelt hat. Es ist mir sehr wichtig, das hohe Niveau unserer Aus- und Weiterbildungen zu halten. Aktuell nehmen wir auch an einem Pilotprojekt mit dem Schmerzmittel Fentanyl teil: Unsere Patrouilleure sind mit einem speziellen Fentanyl-Lollipop ausgestattet, den sie bei Verunglückten mit sehr starken Schmerzen anwenden können. Da Fentanyl ein starkes Schmerzmittel ist, wird unser Team spezifisch für dessen Einsatz geschult. Auch hier gilt unser Grundsatz, die betroffenen Personen so schonend wie möglich zu behandeln und zu transportieren. Mein Ziel ist es, den Standard stets hochzuhalten, neue Technologien und Methoden einzuführen und uns weiterzuentwickeln.
Ich kann mir vorstellen, dass es eine mentale Herausforderung ist, tagtäglich mit Unfällen und Schmerz konfrontiert zu sein. Welche Eigenschaften sollte man für den Rettungs- und Pistendienst mitbringen? Man muss definitiv wetterfest sein, da der Job draussen bei Kälte und Schnee stattfindet. Gut Skifahren zu können, ist unerlässlich. Ausserdem ist ein kommunikatives Flair wichtig, da wir in einem internationalen Skigebiet arbeiten. Wir können von unseren Patrouilleuren nicht erwarten, dass sie jede Sprache beherrschen. Dennoch müssen sie in der Lage sein, sich mit der Patientin oder dem Patienten zu verständigen und das in einer Situation, in der die Person Schmerzen hat und besonders verletzlich ist. Mentale Stärke ist ebenfalls entscheidend. Man sieht gelegentlich Lawinenopfer, schwere Verletzungen oder weinende Kinder – da darf man nicht erschrecken oder erstarren, sondern muss wissen, was zu tun ist. Die Fähigkeit, von 0 auf 100 schalten zu können, ist essenziell. Denn es kann den ganzen Tag über ruhig sein und plötzlich wird man zu einem Notfall wie einem Herzinfarkt auf der Piste gerufen. Trotz der Herausforderungen bleibt die Mehrheit der Patrouilleure in diesem Beruf, da sie Freude an ihrer Arbeit haben und die Sinnhaftigkeit der Aufgabe erkennen, wenn sie direkt jemandem helfen können.
Wie verarbeitet ihr als Team schwere Momente wie etwa besonders schwerwiegende Unfälle? Es kann leider vorkommen, dass eine verletzte Person sogar am Unfallort verstirbt. In solchen Momenten funktioniert man zunächst einfach weiter. Wichtig ist, dass man später zusammenkommt, um den Vorfall im Rahmen eines DeBriefings zu besprechen. Diese Reflexion ist besonders bei schweren Fällen wichtig, um wieder Distanz zu gewinnen.Ich persönlich suche den Austausch mit meiner Frau und Familie und finde auch in meiner Tätigkeit in der Landwirtschaft einen Weg, abzuschalten. Eine halbe Stunde im Stall bei den Tieren hilft mir, den Tag hinter mir zu lassen. Es gibt unterschiedliche Methoden zur Bewältigung solcher Erfahrungen. Während einige sagen, dass es für sie in Ordnung ist, verarbeiten andere den Vorfall auf ihre eigene Weise. Wenn jemand kein unterstützendes Umfeld hat und abends alleine ist, kann es sein, dass er sich mit dem Vorfall beschäftigt und nicht gut schläft. In solchen Fällen ist es wichtig nachzufragen, ob die Person nicht doch darüber sprechen möchte. Wir unterstützen uns alle gegenseitig.
Was zeichnet für dich persönlich einen guten Arbeitstag im Rettungs- und Pistendienst aus? Wenn unsere Mitarbeitenden gesund und ohne grössere Unfälle nach Hause kommen. Denn schliesslich sind auch wir jeden Tag auf Skiern unterwegs. Ebenso ist es mein Ziel, dass unsere Gäste einen hervorragenden Skitag erleben und alle mit einem Lächeln nach Hause gehen. Selbst, wenn jemand Pech hat und verunglückt, hoffen wir, dass er sagen kann: ‹Ich bin zwar im Krankenhaus gelandet, aber zum Glück bin ich auf der Corviglia verunfallt. Der Patrouilleur war sehr nett, hat mich gut betreut, und der Ablauf war schnell und reibungslos.› Wenn wir das erreichen, haben wir unseren Job gut gemacht.